In Soleil de la conscience (1956) gibt Édouard Glissant einen bemerkens­werten Eindruck von seiner ersten Begegnung mit Paris. Die darin versammelten Texte, Vers und Prosa, sind nicht nur Ergebnis einer Reise­erfahrung, sie reflektieren diese auch mit den ihnen eigenen Mitteln. Der Ortswechsel, so der aus der Martinique stammende Dichter, habe ihn zum »Ethnologen seiner selbst« gemacht.

Die »umgekehrte Reise« (Romuald Fonkoua) ist in vielerlei Hinsicht paradigmatisch. Sie ist der Ausgangspunkt für Glissants Poetik der Beziehung und ebnet den Weg für eine Theorie-Praxis der Begegnung (Eduardo Viveiros de Castro). Vor dem Hintergrund der latein­amerikanischen Kolonial­geschichte wirft die Erfahrung der europäischen Nachkriegs­zeit die Frage nach den Möglichkeits­bedingungen kollektiver, nicht nationaler Teilnahme auf. Die doppelte Bewegung einer sich ihrer eigenen Verankerung bewussten interessierten Öffnung für den Dialog ist Programm.

Glissants Überlegungen stehen quer zu einer Vielzahl der postcolonial studies. Fernab dogmatischer Positionen konkretisieren sie sich in der Auseinander­setzung mit künstlerischen Praktiken und bieten darüber originelle Stimuli für die Kunst­geschichte. Sie werfen nicht zuletzt die Frage auf, inwiefern trans­kulturelle Bild­welten auch trans­kulturelle Theorien und Methoden zu ihrer Erforschung mithervorbringen können. Anhand einer ausgewählten Montage des indigenen Künstlers und Aktivisten Denilson Baniwa möchte der Vortrag dieser Frage nachgehen und Relationalität als Theorie-Praxis der Kunst­geschichte würdigen.

Der Vortrag von Lena Bader (DFK Paris) findet im Rahmen des Workshops Postwar Futures - Eine europäische Kunstgeschichte der Nachkriegszeit: 1945-1965 statt, der am 23. und 24. Februar 2024 von der AG »Postwar Futures« an der Universität Köln veranstaltet wird.

Dem Workshop kann auch online beigewohnt werden (um Anmeldung wird gebeten, siehe die Veranstaltungsseite).