Surrealismus in Nordafrika und Westasien
Surrealismus in Nordafrika und Westasien
»Limites non-frontières du surréalisme […] le surréalisme tend à unifier aujourd’hui sur son nom les aspirations des écrivains et des artistes novateurs de tous les pays.«
(André Breton, 1937)
Wo, wann und wie existierte der Surrealismus? Was machte ihn aus? Diese Fragen erscheinen obsolet, wenn man nach Paris, London oder New York blickt und sich Schauplätzen der Bewegung zuwendet, welche die Surrealismus-Forschung bereits ausgiebig in den Fokus genommen hat. Weitaus diffuser gestaltet sich hingegen unser Wissen um andere Regionen, vor allem außerhalb des westlichen Raums, die bislang kaum untersucht wurden. Die Ausstellung Art et liberté : rupture, guerre et surréalisme en Égypte (1938–1948), die sich der Künstlergruppe Art et liberté (jama´at al-fann wa al-hurriyyah) widmete und 2016/17 im Musée national d’art moderne zu sehen war, kann als ein Wendepunkt in der Erforschung des Surrealismus im arabischen Raum betrachtet werden. Zum ersten Mal wurde die ägyptische Gruppe in ihrem historischen Kontext jenseits der Grenzen des innerwestlichen Diskurses und im ehemaligen Zentrum des Surrealismus selbst, nämlich in Paris, ausgestellt. Die im Ausstellungskonzept formulierte Verschiebung von Zentrum und Peripherie bildete den Auftakt zu einer paradigmatischen globalen Wende, die den Surrealismus außerhalb von Paris nicht als Randphänomen, sondern als gleichberechtigte Avantgarde betrachtet. Die ausgeprägte moralische Dimension des Surrealismus und seine politische und ästhetische Radikalität waren grundlegend für seine internationale Anziehungskraft. Seine Fähigkeit, sich an lokale Gegebenheiten anzupassen, sich zu adaptieren und mit ihnen zu verschmelzen, machte die Bewegung zu einem weit ausstrahlenden Phänomen, vor allem im Hinblick auf die heutigen Ansätze zur Erforschung der Moderne in Regionen außerhalb Europas und Nordamerikas.
2016 konstituierte sich das erste gemeinsame Forschungsprojekt zwischen dem Orient-Institut Beirut (OIB) und dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte (DFK Paris), das sich dem Surrealismus seit den 1930er Jahren in Westasien und Nordafrika widmete und seinen Fokus auf die internationalen Netzwerke zwischen Paris, Beirut, Kairo, Istanbul und anderen Metropolen der Region richtete. Ein geografisches und –politisches Terrain, das in den Studien zur modernen Kunstgeschichte weitgehend vernachlässigt wurde, das aber in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gewonnen hat. Der gemeinsame Workshop The Avantgarde and its Networks: Surrealism in Paris, North Africa and the Middle East since the 1930s, der vom 14. bis 15. November 2016 in Beirut stattfand, brachte internationale Surrealismus-Forschende verschiedener Disziplinen zusammen. Aus der Tagung, zu der im Laufe der Projektarbeit weitere Forscherinnen und Forscher hinzustießen, geht die gemeinsame Publikation von OIB und DFK Paris Surrealism in North Africa and Western Asia. Crossings and Encounters, die im Ergon Verlag in Würzburg erschienen ist, hervor.
Der Sammelband bringt bisher unerzählte Geschichten von Begegnungen und Kontakten, verstanden als Bausteine einer Geschichte der »Transmoderne«, ans Licht und stellt sie dar. Durch die Präsentation und Analyse neuer Quellen eröffnen sich historische, kulturelle und künstlerische Kontexte, die unser Wissen über den Surrealismus als internationales – sowohl globales als auch lokales – Phänomen erweitern.
Projektleitung:
- Monique Bellan, Postdoc Researcher im Team LAWHA, Berlin
- Julia Drost, Forschungsleiterin am DFK Paris