Zwischen Kunst, Wissenschaft und Besatzungspolitik
Zwischen Kunst, Wissenschaft und Besatzungspolitik
Das Forschungsprojekt setzt sich mit der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris auseinander, dem ersten deutschen Auslandsinstitut für Kunstgeschichte in Frankreich. Begründet zu Beginn des Jahres 1942, bestand die Forschungsstätte bis zum Ende der deutschen Besatzung im Gebäude der ehemaligen tschechischen Botschaft, 18, rue Bonaparte im 6. Arrondissement.
Untersucht werden neben dem Entstehungskontext und den institutionellen Rahmenbedingungen insbesondere die akademischen Netzwerke und wissenschaftlichen Aktivitäten deutscher Kunsthistoriker in Frankreich. Der Gründung während der deutschen Besetzung Frankreichs legt es außerdem nahe, die Synergien von Forschung und Kulturpropaganda, Kulturgüterschutz und Kunstraub, Besatzung und Kollaboration in den Blick zu nehmen. Daraus ergeben sich folgende Bearbeitungsschwerpunkte: Die Analyse der Zusammenhänge von Institution, Akteuren, wissenschaftlicher Praxis sowie ihren Forschungsgegenständen und -methoden, um zu bestimmen, wie sich die Besetzung Frankreichs auf das akademische Selbstverständnis, Untersuchungsmethoden und Aneignungsformen von Forschungsgegenständen ausgewirkt hat. Als zentrale Einschnitte können dabei der Erste Weltkrieg sowie die deutsche Besatzung Frankreichs von 1940 bis 1944 bestimmt werden.
Ab 1940 können die von Foto Marburg durchgeführten Kunst- und Baudenkmälerdokumentationen als eine besondere Form der Mobilisierung von Werken betrachtet werden, die andere kategoriale, räumliche und institutionelle Verknüpfungen ermöglichte. Für das von Deutschland besetzte Frankreich ist gerade das Zusammenwirken von fotografischer Mobilisierung, Forschung und Kunstraub spezifisch und manifestiert sich im Agieren von Hermann Bunjes (1911-1945), dem Leiter der Kunsthistorischen Forschungsstätte.
Neben den professionellen Netzwerken des deutschen Kunstraubs in Frankreich – bestehend aus Kunsthandel, Museen, Denkmalpflege und Organisationen der NSDAP – sollen akademische Communities rekonstruiert werden, um die Verhältnisse von Wissenschaftspolitiken und damit einhergehende Wissensordnungen im Kontext von Diktatur, Krieg und Besatzung auszuloten.
Als Organisatoren deutscher Kunstgeschichte im besetzten Frankreich können die Ordinarien Alfred Stange in Bonn (1894-1968) und Richard Hamann in Marburg (1879-1961) benannt werden. Die systematische Erschließung von Kunstwerken und Denkmälern Frankreichs durch Foto Marburg wirkte langfristig auf Forschungsthemen der Kunstgeschichte ein. Dafür werden die Entwicklungslinien und Konzepte der deutschen und französischen Gotikforschung seit dem Ersten Weltkrieg nachgezeichnet und im Hinblick auf methodologische Modelle vergleichend analysiert. Mit Wilhelm Pinder, Alfred Stange und Richard Hamann können unterschiedliche Ansätze herausgearbeitet werden: evolutionär argumentierende Modelle der Stilgeschichte, proto-sozialwissenschaftliche Ansätze der Volks- und Kulturraumforschung sowie kunstgeographische Konzepte.
Der Untersuchung basiert auf einem Disziplinen übergreifenden Ansatz, der Methoden der zeithistorischen Struktur- und Netzwerkanalyse mit wissenschaftshistorischen Fragestellungen verbindet. Angestrebt wird eine doppelte Perspektive, die gleichermaßen deutsche Frankreichforschung und die Entwicklungen der französischen Kunstgeschichte in einer Beziehungsgeschichte verbindet. Zusammengeführt wird bislang unbekanntes Quellenmaterial aus deutschen und französischen Archiven, auf dessen Grundlage die Aktivitäten deutscher Kunsthistoriker im besetzten Frankreich rekonstruiert und die Synergien von Forschung und Kulturpropaganda, Kulturgüterschutz und Kunstraub, Besatzung und Kollaboration analysiert werden können.
Im wissenschaftlichen Austausch mit deutschen und französischen Einrichtungen und Forschern wird eine wissenschaftliche Monographie zur Frankreichforschung während der deutschen Besatzung zentrale Aspekte der Geschichte der Kunstgeschichte beleuchten und relevante Quellen der Forschung dokumentieren. Angesichts der aktuellen Debatte um Kulturgutraub und Restitution will das Vorhaben die Bedeutung wissenschaftshistorischer Kontextforschung stärken und zu einem transnationalen Wissenschaftsdialog beitragen.
Abbildung: Aufgestellte Kameras im Chor von Saint-Cybard in Plassac-Rouffiac, links Hans-Adalbert von Stockhausen Aufnahme im Rahmen der Fotokampagne im besetzten Frankreich, Fotograf: Hartwig Beseler, Entstehungsort: Plassac-Rouffiac, 1941, Fotografie Marburg, Bildarchiv Foto Marburg, Sammlungskontext: Nachlass Hans-Adalbert von Stockhausen
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