Blickwechsel zwischen Buchseiten: Die Finger, eben im Umblättern begriffen, legen ein Bild Mariens mit dem Jesuskind frei, doch wird weder diesem noch dem begleitenden Text Beachtung geschenkt. Der Blick der Frau folgt stattdessen der Hand des Mannes neben ihr, ein Geldwechsler, der, Münzen auf eine Waage legend, deren Gleichwertigkeit bemisst. Wechselspiel nicht nur hier, in der Bildmitte, sondern auch rundherum: Nach vorne wie nach hinten ist der Bildraum für die Betrachter:innen geöffnet; durch den Türspalt im Hintergrund lässt sich ein Blick auf zwei Personen im Gespräch erhaschen, der Spiegel am unteren Bildrand erlaubt die Perspektive in die andere Richtung: ein weiterer Mann, ein Fenster, ein kurzer Eindruck der Stadt. Die Augen der im Zentrum Dargestellten jedoch verlassen den Raum nicht – sie bleiben beim Geld.

Und was geht dir angesichts dieses Wort-Bild-Paares durch den Kopf, liebe Sira?
Deine Hannah Goetze

Am Ende bleiben sie beim Geld (ihre Augen), am Anfang aber sind sie beim Buch (ihre Finger). Dort würde auch ich beginnen wollen, bei diesem Stundenbuch, bei seinen zwei, drei Seiten, die wir gezeigt bekommen, seinem Einband mit metallischem Verschluss, dem gemusterten Schnitt. Wie sich das Papier wohl anfühlt? Wellt es sich nicht sanft unter der beringten Hand? Zum Lesen kommen wir nicht, aber sehen können wir: die Bilder, wenn auch Miniaturen, ihre Motive so bekannt (Maria, Jesus, Lamm), dass man den dazugehörigen Text ahnen kann. Trotzdem habe ich mich auf den Kopf gestellt, um die Figuren genauer zu betrachten – mein Wechselspiel: zwischen oben und unten, links und rechts, Mensch und Tier, bunt und schwarz auf weiß, zwischen Bild und Text. Mehr Schauen als Lesen: mein tägliches Wechselspiel als Redaktionsassistentin, die u.a. mit der Klärung von Bildrechten für kunsthistorische Publikationen beschäftigt ist – was uns zurück zum Geld bringen würde. Aber sollen wir nicht lieber die Perspektive wechseln, den Innenraum verlassen und hinaus in die Stadt schauen, unserem nächsten Spielraum?

Danke, liebe Hannah, für diesen Blickwechsel! 
Deine Sira Luthardt