Von 2006 bis 2015 hat das Deutschen Forum für Kunstgeschichte die Conférences de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture mitherausgegeben und damit einen wichtigen Korpus an Texten zur Frühgeschichte der europäischen Kunstgeschichte erschlossen. Die sieben Tomoi in 12 Bänden versammeln auf mehr als 4.500 Seiten ein beeindruckendes Konvolut an uns erhaltenen und vorliegenden Manuskripten, die Einblicke in die Tätigkeiten und Themen der Akademie in den Jahren 1648–1792 geben. Sie sind allesamt digitalisiert im PDF-Format verfügbar und herunterladbar über perspectivia.net, die Publikationsplattform der Max Weber Stiftung. Die Zugriffsdaten belegen erhebliches Interesse an den Texten: Stand 30.01.23 werden 35.452 Volltextzugriffe gezählt.
Ausgangspunkte
Sowohl der lange Zeitraum wie auch die Diversität der enthaltenen Texte – die von biographischen Berichten über philosophische Kunstbetrachtungen bis hin zu historischen Reminiszenzen reichen – erschweren einen Einstieg. Eine der Fragestellungen, die Anne Klammt und mich über die Zeit meines Praktikums am DFK Paris begleitete, war, ob es über die Nutzung digitaler Methoden möglich wäre, einen solchen zu erleichtern. Ausgangspunkt unserer Überlegungen wurde nicht zuletzt eine Erwähnung am Ende des ersten Tomos:
»Un des principaux enjeux des conférences a été la constitution d’un vocabulaire français normalisé pour parler de peinture et de sculpture. De nombreux termes ont vu leur sens évoluer entre 1648 et 1792 et nous donnerons dans le dernier volume une table analytique qui permettra de suivre les transformations de l’usage des notions clefs de la théorie de l’art en France.« (»Glossaire«, Conférences de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture, 1648–1681, kritische Edition unter der Direktion von Jacqueline Liechtenstein und Christan Michel, Paris 2006, Bd. I.2, S. 801)
Für den ersten Tomos wurde ein solcher »Glossaire« noch erstellt, mit dem Hinweis: »Le glossaire que nous avons établi pour ce premier tome a une finalité plus limitée« (ebd.); die Arbeit hieran wurde jedoch für die weiteren Bände nicht fortgeführt. Eine indexartige Übersicht böte aber nicht allein erleichterten Zugang zu den Texten über Themen und Personen, sondern ermöglichte, über alle Bände hinweg, einen Zugriff auf die Verwendung und Entwicklung bestimmter Begriffe im kunsttheoretischen Diskurs der Akademie des 17. bis 18. Jahrhunderts.
Textauswahl
Anhand dreier Beispieltexte machten wir erste Versuche, wie wir uns über Methoden des Distant Readings und des Natural Language Processing (NLP) den Texten und einem wie oben beschriebenen »Glossaire« annähern könnten. Wir nutzten frei zugängliche Tools und tätigten zusätzlich, mit Hilfe eines eigenen Codes, verfasst in der Programmiersprache Python, erste Versuche zum Extrahieren eines strukturierten Vokabulars. Als Texte wurden hierfür ausgewählt: Guillet de Saint-Georges: »Mémoire historique sur Eustache Le Sueur« (5. August 1690; Bd. II.1, S. 271-289); ders.: »Sur l’établissement de l’Académie au Louvre« (15. März 1692; Bd. II.2, S. 427-430); Roger de Piles: »Si la poésie est préférable à la peinture« (7. Mai 1701; Bd. III, S. 61-78).
Die Auswahl war bewusst divers gestaltet und nicht diachron angelegt. Sie beinhaltet mit den Texten von Guillet de Saint-Georges einen längeren biographischen Umriss zum Leben und Werk Eustache Le Sueurs sowie eine kurze Rede, gehalten anlässlich des Umzugs der Académie in die Räumlichkeiten des Louvre. Roger de Piles’ Überlegungen sind historisch abstrakter und argumentative Bemühung, den Wert der (bildenden) Kunst in Abgrenzung zur Poesie hervorzuheben. Die Auswahl war auch darauf ausgerichtet, die Funktionalität verschiedener Werkzeuge bei unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen zu testen.
Erste Versuche
Erste Versuche unternahmen wir mit Voyant Tools. Die hierüber erstellte Grafik, ein sogenannter »Collocates Graph«, gibt die häufigsten verwendeten Wörter und deren Beziehungen aus. Sie zeigt deutlich einige der Probleme auf, mit denen wir konfrontiert waren; so tragen Wörter wie »qu’il« und »l’on« keinen spezifischen Bedeutungsmehrwert, die Aufteilung in »art« und »arts« erscheint als wenig sinnvoll. Ein erster Schritt, den wir mit Python tätigten, bestand entsprechend darin, sogenannte »stopwords« zu entfernen und eine Lemmatisierung (das Zurückführen von deklinierten oder konjugierten Formen auf eine Grundform) vorzunehmen. Die Grafik, die zur Grundlage den in dieser Art überarbeiteten Text hat, ist deutlicher.
Roger de Piles, »Si la poésie ...«, vor und nach der weiteren Bearbeitung. Grafik erstellt mit Voyant Tools.
Auf Basis der bereinigten Texte war es außerdem möglich, einen ersten Versuch zur Erstellung eines geordneten Vokabulars zu unternehmen. Dieses lässt sich weitergehend auch filtern nach den am häufigsten genutzten Wörtern in den einzelnen Texten.
Mit Python erstelltes, strukturiertes alphabetisch geordnetes Vokabular der drei Texte sowie die 30 meistgenutzten Wörter inkl. Angabe der Anzahl in der »Mémoire historique sur Eustache Le Sueur«. Erkennbar wird an der linken Abbildung auch, dass die Lemmatisierung nicht in Gänze erfolgreich war: »ôter« und »ôté« sollten in eins fallen.
Den Text zu Eustache Le Sueur bearbeiteten wir zuletzt mit Hilfe von Recogito. Die Anwendung erlaubt es, Personen- und Ortsnamen taggen und Verknüpfungen zwischen denselben und weiteren Konzepten zu erstellen. So wird das Erstellen von Karten und das Sichtbarmachen von Netzwerken erleichtert.
Bearbeitung der »Mémoire historique sur Eustache Le Sueur« in Recogito: Auszeichnung von Personen- (blau) und Ortsnamen (grün) als solche, weitere Konzepte (hier: Institutionen und Werke) gelb.
Einschätzung der Ergebnisse
Die so erhaltenen Daten selbst bilden keine Antworten alleine; jede Form von Daten bedarf weitergehend ihrer Interpretation. Die Arbeit mit dem tatsächlichen Text soll durch solche Annäherungen auch selbstverständlich nicht ersetzt werden. Sie lassen aber bestimmte Muster, Häufungen in der Wortwahl und Themen und Verknüfungen leichter erkennbar werden. Die Ergebnisse sind entsprechend primär als Ausgangspunkt für neue Fragen zu verstehen. Bereits 2003 schrieb Franco Moretti zur Verwendung bezüglich digitaler Methoden in den Geisteswissenschaften:
»[T]he most interesting aspect of those data was that I had found a problem for which I had absolutely no solution. And problems without a solution are exactly what we need in a field like ours, where we are used to asking only those questions for which we already have an answer.« (Franco Moretti, »Graphs, Maps, Trees. Abstract Models for Literary History«, New Left Review 24, 2003, S. 86)
Die Hilfestellung, die solche Methoden bieten können, werden für kunsthistorische Forschung bislang noch nicht in dem Maße genutzt, wie möglich wäre. Die Arbeit an den Conférences-Bänden könnte einen Anlass bieten, dies zu ändern, und dadurch die wichtigen Quellen, die die Bände beinhalten, zugleich breiter zugänglich zu machen.
Text: Hannah Goetze
Abbildung oben: Jean Tigre, Porträt von Henri Testelin, Aufnahmestück an der Akademie, 1675, Öl auf Leinwand, 116,8 × 89,4 cm, Versailles, château de Versailles, http://collections.chateauversailles.fr/?permid=permobj_76f825ba-d77e-4563-a03b-cd964dde60d3