Studienkurs-DE-2019

Synästhetische Sakralräume? Ornamentkulturen der Gotik und ihre Rezeptionen im 19. Jahrhundert

Synästhetische Sakralräume? Ornamentkulturen der Gotik und ihre Rezeptionen im 19. Jahrhundert

Internationaler Studienkurs des Deutschen Forums für Kunstgeschichte (DFK Paris), der Université Rennes 2 und der Freien Universität Berlin

24. bis 28. Juni 2019

 

Kirchenbauten prägten in der Gotik mit ihrer alles überragenden Architektur maßgeblich den Charakter mittelalterlicher Städte und stellten einen zentralen Bezugspunkt urbaner Identität dar. Abgesehen von seiner Außenwirkung ist der gotische Sakralbau ferner auch als ein vielschichtiger und spannungsreicher Mikrokosmos zu verstehen, in dem Liturgie, Architektur, Objekte und Bilder in einer komplexen Beziehung neben- und zueinander stehen. In diesem Kontext ist das Ornament nicht als Beiwerk, sondern im mittelalterlichen Sinne des zentralen Begriffs „ornamentum“ zu verstehen, das sich im Sakralraum vom Kelch über die Glasfenster bis zur Glocke erstreckte.

Jene Ornamentkulturen des mittelalterlichen Kirchenraumes erfahren  innerhalb der Hochkonjunktur der Gotikrezeption im 19. Jahrhundert eine vielfältige Transformation. Paradigmatisch hierfür steht Victor Hugos Roman Notre-Dame de Paris (1831), der die Kathedrale nicht nur als steinernes Kompendium von Traditionsüberlieferung vermittelt, sondern deren sinnlich erfahrbare synästhetische Qualität, deren Orgel- und Glockenklänge herausstellt. Einen Widerhall findet dieser Topos des Zusammenwirkens verschiedener Sinneswahrnehmungen in der sich im 19. Jahrhundert formierenden wissenschaftlichen Disziplin der Kunstgeschichte. So fällt beispielsweise Émile Mâles grundlegende Darstellung der Kathedrale als umfassende Enzyklopädie aus dem Jahr 1898 mit der Begeisterung für das Phänomen der Synästhesie am Ende des 19. Jahrhunderts zusammen. Auch die Kunstgewerbe-Bewegung orientierte sich mitunter deutlich an mittelalterlichen Erzeugnissen und erschuf vielgestaltige Mikroarchitekturen.    

Der internationale fünftägige Studienkurs nahm mit dem hochmittelalterlichen Sakralraum, den Ornamentkulturen der Gotik sowie ihren differierenden Rezeptionen und Transformationen im langen 19. Jahrhundert ein komplexes Themenfeld der französischen Kunst- und Kulturgeschichte in den Blick. Über die Auseinandersetzung mit der Architektur, Bildern und Objekten hinaus wurden wichtige Impulse in der Literatur und den Geisteswissenschaften verhandelt.
Neun Nachwuchswissenschaftler/-innen, (Post-)Doktorand/-innen- und fortgeschrittene Studierende aus Deutschland, Frankreich und Österreich erhielten die Gelegenheit, im Rahmen von Workshops, Besichtigungen vor Ort sowie öffentlichen Vorträgen die vielgestaltigen Ausprägungen von Ornamentkulturen im Mittelalter und innerhalb der französischen Mittelalterrezeption des 19. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen. Gemeinsam mit Wissenschaftler/-innen des DFK Paris und auswärtigen Expert/-innen (darunter u.a. Konservator/-innen, Historiker/-innen, Archäolog/-innen und Kunsthistoriker/-innen) wurden ausgewählte Objekte betrachtet und kontextualisiert, wobei die betreffenden Untersuchungsgegenstände von Architekturen über Skulpturen bis hin zu beweglichen Objekten und anderen Ornamenten reichten. Zu den besuchten Institutionen und Orten gehörten unter anderem das Musée du Louvre und das Musée des Arts Décoratifs sowie die Sainte-Chapelle, die Basilika Saint-Denis, die Kirche Sacré-Coeur de Montmartre und der Cimetière du Père-Lachaise. Ergänzt und abgerundet wurde das vielseitige Kursprogramm durch einen Abendvortrag von Dominique Iogna-Prat, Directeur d'études de l'EHESS, der über die "Modernités de l'église" sprach.

 

Leitung:

Prof. Dr. Bruno Boerner (Université Rennes 2)
Dr. Philippe Cordez (DFK Paris)
Dr. Julia Drost (DFK Paris)
Prof. Dr. Christian Freigang (FU Berlin)
Marthje Sagewitz (DFK Paris)

 

Teilnehmer/-innen:

Yorick Berta, Masterstudent, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/ Oder; Emilie Chedeville, Doktorandin, Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne; Hannes Fahrnbauer, Doktorand, Universität zu Köln; Clara Forcht, Bachelor-Studentin, Otto-Friedrich-Universität Bamberg; Manuela Klauser, Postdoktorandin; Mathieu Lejeune, Postdoktorand, Université Paris-Sorbonne; Charlotte Tassin, Doktorandin, Université de Liège; Katharina Theil, Doktorandin, Universität Zürich; Katharina Thurmair, Doktorandin, Ludwig-Maximilians-Universität München
 

Anonyme, Pendule de Notre Dame de Paris, entre 1835 et 1845, Musée Carnavalet, Paris. Foto: Anonyme, Pendule de Notre Dame de Paris, entre 1835 et 1845, Musée Carnavalet, Paris.
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Dr. Julia Drost

Dr. Julia Drost

Forschungsleiterin / Verantwortlich für Förderprogramme
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Marthje Sagewitz

Marthje Sagewitz, M.A.

Universität Leipzig (September 2019 - Oktober 2022) / Dissertationsprojekt: Die Mittelalterrezeption in der französischen Skulptur der Dritten Französischen Republik. Auguste Rodin und die Bildhauergeneration um 1900