Die zeitgenössische Geschichte in der Kunst der BDR und der DDR zu Beginn der 1960er Jahre
Workshop
Die zeitgenössische Geschichte in der Kunst der BDR und der DDR zu Beginn der 1960er Jahre
Im Rahmen dieses Workshops fanden Vorträge von Eckhart Gillen und Ulrich Baehr sowie ein Lektüre-Workshop statt.
Vorträge
Eckhart Gillen
»Konfrontation mit der Vergangenheit und der Wirklichkeit in Ost- und Westdeutschland: Stillgelegte Geschichte hinter den Mauern der Utopie und die subversive Kraft der Erinnerung«
Das Programm eines radikalen Neuanfangs, die »Wiedergeburt« eines »Neuen Deutschlands« duldete in der SBZ/DDR nach 1945 keinen Aufschub, kein Innehalten und keine Melancholie. Erst in den 1960er Jahren kamen die beiden Staaten und ihre Künstler langsam wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und verabschiedeten sich vom Idealismus der Nachkriegsjahre. Zur Ernüchterung der Zeitgenossen hatten 15 Jahre nach Kriegsende der Eichmann-Prozess in Jerusalem und der Auschwitz-Prozess 1963/65 beigetragen. Die Westdeutschen wurden von ihrer Vergangenheit wieder eingeholt. Durch die Prozessberichterstattung kam die Wohlstandsgesellschaft schockartig zu Bewusstsein. In diesem Klima griff Gerhard Richter scheinbar unauffällig, aber umso nachhaltiger, das tabuisierte Thema »Die Mörder sind unter uns« (Film von Wolfgang Staudte, 1946) auf. Auch in der DDR setzten die Künstler der zwischen 1920 und 1930 geborenen Kriegsgeneration einen neuen Realismus gegen den Idealismus der diktierten Polarisierung Abstraktion gegen Realismus durch. Bernhard Heisig griff auf seine eigene Erfahrung, als Angehöriger der Waffen-SS in der »Festung Breslau« zurück, wohl wissend, dass die Kunst sich übernimmt, will sie Sinn und Transzendenz stiften. Wie Menzel und Richter interessiert sich Heisig nicht für Theorien und Konzepte, sondern immer für das sinnlich Begreifbare, Sichtbare, Reale und Konkrete. Die kunsthistorische Dechiffrierarbeit muss sich bei seinen Bildern allerdings auf höchst disparate Dinge einlassen, die von immateriellen Erinnerungsfetzen und Albträumen bis zu ganz konkreten Gegenständen und Fotografien reicht. Wie drückt sich diese Wiederkehr der Geschichte in der Kunst der BRD und der DDR um 1960 aus? Welche Mittel wurden von den Künstlern genutzt, um die Gegenwart der Vergangenheit zu verkörpern? Exemplarisch wird diese Problematik analysiert anhand der Werke von Richter und Heisig, aber auch von Werner Tübke und Willi Sitte, der »Gruppe Spur« in München und der Situationistischen Internationale, dem Westberliner Pandämonium: Georg Baselitz und Eugen Schönebeck, Ulrich Baehr, Markus Lüpertz und zu guter Letzt anhand Anselm Kiefers erster Arbeit »Besetzungen« von 1969.
Ulrich Baehr
»Stichworte zu den Historienbildern«
Nicht unerheblich für die Entstehung der Historienbilder und der Deutschen Torsi (ab 1964 bis ca. 1976) ist sicherlich für Ulrich Baehr seine Sozialisation als Heranwachsender und junger Erwachsener in der »bleiernen« Adenauerzeit, da sein neugieriges Interesse für die jüngste Vergangenheit ihn zwangsläufig in eine Außenseiterposition rückte. 1964, parallel zu den beginnenden Protestaktivitäten der Studentenbewegung, mietete eine kleine Gruppe von Absolventen der Kunsthochschule in Berlin einen Fabrikraum als erste Selbsthilfegalerie in Deutschland (Großgörschen 35). Ulrich Baehr war Teil dieser Gruppe, die die Abkehr von der reinen Doktrin der internationalen Abstraktion und die Hinwendung zur Realität der Großstadt (Hödicke), »Sex and Crime« (Sorge), den Kleinbürgeralltag (Petrick), die pathetisch-dithyrambische Protestgeste (Lüpertz) und eben auch die jüngste deutsche Geschichte (Baehr) zum Programm machten. Als Vorbereitung der Historienbilder und Deutschen Torsi stellte Baehr umfangreiche Materialsammlungen bestehend aus Abbildungen, Dokumenten oder Zeitungsausschnitten zu zeitgeschichtlichen Ereignissen zusammen, die in unser kollektives Gedächtnis eingegangen sind (Reichsparteitage, Yalta-Konferenz). Ein zentrales Thema ist dabei auch die Frage nach einer »Körpersprache der Macht«. Davon ausgehend wurden mit Hilfe zahlreicher Vorstudien die Bildprogramme bzw. die fragmentierten Figuren entwickelt. Die Bilddramaturgie (Querformat, Physiognomik und Gestik) ist auch als ironische Anspielung auf die klassische Gattung des Historienbildes im 19. Jahrhundert (A. Menzel, A. von Werner) zu verstehen, die Baehr in den Berliner Museen studieren konnte. Im Rückblick auf seine prägende Erziehung sowie weitere künstlerische und theoretische Impulse wird Ulrich Baehr seine Kunst vorstellen.
Lektüre-Workshop
Konzipiert von Clara Pacquet. Der Text von J.-F. Lyotard wurde von Julie Sissia vorgestellt, der Text von J. W. Winnicott von Aneta Panek und Maria Bremer hat den Text « Une expérience démocratique de l'art de Marcel Duchamp à Joseph Beuys ? » von J.-P. Antoine präsentiert.
- Sigmund Freud, »Jenseits des Lustprinzips« (1920), in id., Gesammelte Werke, Band 13, hrg. von Anna Freud, London, 1940, übersetzt von Samuel Jankélévitch, Paris, 1968
- J. W. Winnicott, »La crainte de l'effondrement«, in id., La crainte de l'effondrement et autres situations cliniques, Paris, Payot, 2000, S. 205-216
- Jean-François Lyotard, »Le non et la position de l'objet«, in id., Discours, figure, Paris, Klincksieck, 1971, S. 117-129
- Jean-Philippe Antoine, »Peindre le nom du souvenir : les images de l'art de la mémoire«, »Une expérience démocratique de l'art de Marcel Duchamp à Joseph Beuys ?«, »'Je ne travaille pas avec des symboles'. Joseph Beuys, l'expérience et la construction du Souvenir«, in id., Six rhapsodies froides sur le lieu, l'image et le souvenir, Paris, Desclée de Brouwer, 2002, S. 19-52, S. 101-142, S. 145-198