Jahresthema 10/11 - Sprechen über Bilder - Sprechen in Bildern
Sprechen über Bilder - Sprechen in Bildern
Kaum ein Versuch, sich über das Wesen von Bildern oder auch Kunstwerken Klarheit zu verschaffen, scheint ohne den Bezug auf das Wort, die Sprache oder den Text auszukommen. Seit der Antike wurden Bild und Wort immer wieder einander angenähert oder aber in der schroffen Abgrenzung voneinander bestimmt: Galt der Ut-pictura-poesis-Lehre das Bild als »stumme Sprache«, so wurde in der reichen Tradition ekphrastischer Literatur oftmals betont, wie sehr sich Bilder jeder Versprachlichung entziehen. Lässt sich das Bild als Analogon zur sprachlichen Äußerung verstehen, übertrifft es das Wort an unmittelbarer Evidenz oder weist es gegenüber der Sprache den Mangel auf, weniger bestimmt und keiner Verneinung fähig zu sein? Was ein Bild ist, welche spezifischen Grenzen und Potentiale es auszeichnen, wird noch immer maßgeblich über den Vergleich mit der Sprache bestimmt.
Die Grundfrage nach dem Verhältnis von Bild und Wort ist daher von unveränderter Aktualität. Trotz intensiver Forschungen zur Intermedialität, trotz anspruchsvoller Versuche, eine gemeinsame semiotische Grundlage für Sprache und Bilder zu entwickeln, bleibt die Relation von Bild und Wort umstritten und konnte zuletzt in bildwissenschaftlichen Debatten wieder zum Gegenstand grundsätzlicher Auseinandersetzungen werden. Charakteristisch für diese Ansätze ist die Tendenz, den »Logos« des Bildes gerade in der Abgrenzung von der Sprache rehabilitieren zu wollen. Der bildtheoretische Diskurs trifft sich in diesem Anliegen mit einem erhöhten philosophischen Interesse an nicht-propositionalen Wissensformen sowie mit neueren Versuchen, die Kulturwissenschaften jenseits des Paradigmas der Sprache weiterzuentwickeln.
Das Jahresthema Sprechen über Bilder – Sprechen in Bildern will an diese Diskussionen anknüpfen, sie aber zugleich kritisch hinterfragen. Entfalten Bilder ihr genuines Potential, mithin jene Einsichten, die sich nicht problemlos versprachlichen lassen, nicht gerade dort, wo sich das Bild an der Sprache reiben kann? Und sind nicht viele starke Erfahrungen vor Bildern auf einen Austausch mit anderen Betrachtern angewiesen? Das Jahresthema versteht sich als Einladung, das Verhältnis von Bild und Wort dynamischer zu denken und mehr auf Verschränkungen und Rückkopplungen als auf Parallelen oder Abgrenzungen acht zu geben. Neben klassischen Themen wie der Ekphrasis, der Ut-pictura-poesis-Lehre oder dem Topos des Unsagbaren (»je ne sais quoi«) sollen daher insbesondere vernachlässigte, aber äußerst fruchtbare Formen der Verschränkung von Bild und Wort untersucht werden: das Gespräch vor Bildern und die Schrift im Bild. Während das Sprechen vor Bildern die performative Dimension der Betrachtung zur Geltung bringt, stiftet die Schrift im Bild produktive rezeptionsästhetische Komplikationen, indem sie das Sehen des Bildes um ein Lesen bereichert.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Sprache und Bild wird außerdem zu berücksichtigen sein, dass das Thema eine epistemologische Reflexion einschließt, die an die Grundlagen der Kunstgeschichte als Disziplin rührt – sei es, dass die Kunstgeschichte mit Wölfflin versucht hat, den Formen einen Inhalt zu geben (etwa durch die Beschreibung von Kunstwerken mit Hilfe konträrer Grundbegriffe), sei es, dass sie mit Warburg gemäß den Regeln einer Methode, die sehr treffend als Ikono-logie bezeichnet werden sollte, den Inhalten Form gegeben hat. Und schließlich wird nicht zu vernachlässigen sein, dass die Kunstgeschichte, sei sie humanistisch geprägt oder nicht, zuallererst eine schreibende, eine literarische Disziplin ist: mithin ein Wissen, das sich selbst schreibt. In diesem Sinne vermag sie den Inventionen der Bilder nur mit der stets zu wiederholenden Entscheidung beizukommen, sich in einer Art Geschichte der Literatur, in einer Poetik des visuellen Wissens zu situieren. Mit einem Wort: Die Kunstgeschichte impliziert die Erarbeitung von Sprachen, die fähig sind, von Bildern und in Bildern zu sprechen.
Im Sinne der internationalen Ausrichtung des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris soll das Thema unter besonderer Berücksichtigung französischer und deutscher Themen und Diskurse behandelt werden. Begleitet wird die Forschungsarbeit der Stipendiaten durch regelmäßige »workshops« mit Gastdozenten, gemeinsame »ateliers de lecture«, Exkursionen, Vorträge und einen abschließenden Jahreskongress. Die mit einem Jahresstipendium verbundene Ausschreibung wendet sich an Doktoranden der Kunstgeschichte, deren Thema die übergeordnete Fragestellung berührt oder insgesamt zum Gegenstand hat, wobei bewusst daran gedacht ist, Fallbeispiele in diachroner, internationaler Perspektive und aus verschiedenen Gattungen (Malerei, Photographie, Zeichnung, Druckgraphik und Skulptur) zu verhandeln. Auch Promovierende benachbarter Disziplinen, die kunsthistorisch versiert sind und deren Dissertationsthemen einen klaren Bezug zur bildenden Kunst vorweisen, sind ausdrücklich zur Bewerbung aufgefordert.
Leitung: Georges Didi-Huberman (EHESS) und Johannes Grave (DFK)
Wissenschaftliche Koordination: Lena Bader (DFK)
StipendiatInnen und Gäste
Carolin Bohn, Eric Hold (Kurzzeitstipendiat), Bing Li, Tobias Kämpf (Postdoc-Stipendiat), Dimitri Lorrain, Caroline Recher, Olivier Sécardin (Kurzzeitstipendiat), Caroline Smout, Gwendolin Julia Schneider (Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung), Andreas Josef Vater, Muriel van Vliet, Pamela J. Warner (Gastforscherin)