Jahresthema 08/09 - Kunstgeschichte & ästhetische Theorie. Abgrenzung, Wechselwirkung, Synergien
Kunstgeschichte & ästhetische Theorie. Abgrenzung, Wechselwirkung, Synergien
Es gehört zu den auffälligen Merkwürdigkeiten von akademischer Kunstgeschichte und Ästhetik, dass sich deren Vertreter in der Regel mit einem hartnäckigen Desinteresse begegnen. Die Kunstgeschichte wirft der Ästhetik vor, die historische Dimension von Kunst zu verfehlen; die Ästhetik ihrerseits vermisst in der Kunstgeschichte eine Klärung des Begriffs »Kunst«, der dem Fach doch selbst zugrunde liegt.
Wenn Kunstgeschichte und Ästhetik sich auch immer wieder deutlich voneinander abgegrenzt oder einander ignoriert haben, erweisen sich die Diskurse beider Disziplinen jedoch auf eigenwillige Weise verstrickt. Bereits in ihrer Gründungsphase als akademische Disziplin hat die Kunstgeschichte in der Auseinandersetzung mit der Kunsttheorie, Kunstphilosophie und Ästhetik an Profil gewonnen. Die später zur Gewohnheit gewordene Abgrenzung der Kunstgeschichte zu ästhetischen Diskursen täuscht darüber hinweg, dass das Fach nicht ohne ästhetische Grundannahmen zu denken ist und in seiner Frühzeit zum Teil sogar explizit den Anspruch vertrat, sich mit neuen Methoden Problemen der Ästhetik oder der Kunsttheorie zu nähern. Indem die Kunstgeschichte den Kollektivsingular Kunst als eine sich historisch entwickelt habende Ganzheit versteht, lagert sie in ihren disziplinären Diskurs eine ästhetische Fragestellung ein. Zugleich aber scheint der konsequent historisierende Blick auf eine Vielzahl einzelner Kunstwerke, den das Fach Kunstgeschichte pflegt, die Möglichkeit einer übergreifenden ästhetischen Theorie in Frage zu stellen. Die Kunstgeschichte, so scheint es, bestreitet auf diese Weise, was sie voraussetzt: die Möglichkeit einer Bestimmung des Begriffs »Kunst«.
Verschiedentlich ist versucht worden, Forschungsperspektiven zu entwickeln, die Methoden der ästhetischen Theorie und der Kunstgeschichte für gemeinsame Fragestellungen nutzbar machen. Wurde dieses Anliegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts u. a. von Max Dessoir mit einer allgemeinen Kunstwissenschaft verfolgt, so scheint die aktuelle Hinwendung zu bildwissenschaftlichen oder bildkritischen Fragen in eine vergleichbare Richtung zu weisen. Insbesondere für die Kunstgeschichte erweisen sich solche innovativen Perspektivierungen als produktive Infragestellungen, da sie auf diese Weise veranlasst wird, ihre disziplinären Grundlagen und Vorannahmen klarer zu benennen und zu bestimmen, wie viel Theorie der disziplinären Praxis inhärent ist. Nach der Etablierung von kunsthistorischen Ansätzen, die ästhetische Fragestellungen vernachlässigt haben und weitgehend davon absehen, auf den Kollektivsingular Kunst zu rekurrieren (Ikonologie, Sozialgeschichte der Kunst, feministische und postkolonialistische Kunstgeschichte etc.), sieht sich die aktuelle Kunstgeschichte nicht zuletzt angesichts der »Bildwissenschaften« und der visual studies vor die Herausforderung gestellt, ihr Verhältnis zum vergessenen (oder verleugneten) Leitbegriff »Kunst« zu klären.
Unübersehbar ist, dass die aktuelle Debatte in besonderem Maße von der französischen und der deutschsprachigen Wissenschaft vorangetrieben wird, ohne dass es freilich bislang zu einem wirklich stabilen und konstruktiven Dialog gekommen wäre. Das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris möchte mit der Wahl dieses Jahresthemas die derzeit lebhaft, oft genug aber voneinander unabhängig geführten Diskussionen zusammenführen und hofft dabei zuversichtlich auf erheblichen wechselseitigen Gewinn. Das Jahresthema - das in enger Partnerschaft mit französischen und deutschen Hochschulen und in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt »Bildkritik« der Universität Basel verhandelt werden
wird - soll in den Studien der Forschungsstipendiaten in historischer Perspektive ebenso verfolgt werden, wie unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Positionen zu bildender Kunst und Architektur und wird zudem Gegenstand von Seminaren, Kolloquien und öffentlichen Tagungen sein.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Beyer und Prof. Dr. Danièle Cohn
Coordination / Koordination: Dr. Tania Vladova
Stipendiaten
Katharina Bahlmann M.A.
Steffen Egle M.A.
Martin Müller M.A.
Clara Pacquet M.A.
Perin Emel Yavuz M.A.
Wir danken der Robert Bosch Stiftung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die großzügige Unterstützung der Stipendiaten des DFK.